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Was es sonst noch gab - Zeitzeugenbericht von Kurt Motlik

Bild von Kurt MotlikVORKRIEGSZEIT (ZWISCHENKRIEGSZEIT)

Was es sonst noch gab

In jener Zeit gab es viele arme Menschen, weil nur wenig Arbeit zu vergeben war. Die Not wurde auch dadurch verstärkt, da fast jede Familie mehrere Kinder besaß. Man bekam damals weder Kindergeld noch eine Familienbeihilfe. Die staatliche Unterstützung war sehr gering und wurde nach wenigen Wochen überhaupt eingestellt. Deshalb mussten viele Menschen auf verschiedenste Arten versuchen, nicht zu verhungern. Manche gingen in den Wohnhäusern von Tür zu Tür und bettelten um ein Stück Brot oder um einen Teller warme Suppe. Andere wieder bettelten auf der Straße oder baten als Straßenmusikanten um Almosen. Es gab aber auch solche, die in öffentlichen Mistkübeln nach noch verwertbaren Dingen suchten. Diese Notzeiten brachten es aber auch mit sich, dass es immer wieder zu Demonstrationen und Unruhen kam, die von der Polizei rücksichtslos niedergeknüppelt wurden, wobei manchmal sogar Verletzte und Tote zu beklagen waren. Diese Situation wurde aber auch vielfach von politischen Parteien ausgenützt, um gewaltbereite Bevölkerungsschichten zu Putschversuchen und Terroranschlägen aufzuhetzen. Man erwartete sich davon, selbst an die Macht zu kommen. Damals gab es, ebenso wie heute, u.a. zwei große Parteien, die im Parlament vertreten waren und über eine eigene Privatarmee verfügten. Im Jahre 1933 übernahm eine dieser Großparteien die Macht im Staat und verbot gleichzeitig jede andere politische Tätigkeit. Die andere große Partei wehrte sich und es kam im Februar 1934 zu einem Aufstand, der schließlich zu einem tragischen Bürgerkrieg führte. Nach vier Tagen hatten die regierenden Machthaber mit Hilfe des österreichischen Bundesheeres diesen Aufstand brutal und blutig niedergeschlagen. Hierbei wurden sogar Kanonen eingesetzt, die in Wien am rechten Donauufer aufgestellt waren und normale Wohngebiete im 21. Bezirk beschossen und zerstört haben. Das heutige „Haus der Begegnung“ in der Wiener Angererstraße, das zu dieser Zeit ein Arbeiterheim beherbergte, konnte nur im Nahkampf erobert werden. Bei diesen Kämpfen wurden rund 300 Menschen getötet und etwa 800 verwundet. Nach der Niederschlagung wurden mehrere Führer des Aufstandes durch Hängen hingerichtet oder in Gefängnisse gesperrt. Im Juli 1934 wurde bei einem weiteren Putschversuch, der vom Deutschen Reich aus gesteuert war, der damals diktatorisch regierende Bundeskanzler von Österreich Dr. Engelbert Dollfuß in seinem Büro ermordet. Nach schweren Straßenkämpfen scheiterte auch dieser Putschversuch und wieder gab es Tote, Verwundete und Hinrichtungen.

Durch die nun gefestigte Diktatur wurde es ruhiger in unserem Land. Alle politischen Gegner wurden verhaftet und kamen in Gefängnisse oder in das Konzentrationslager in Wöllersdorf (NÖ).

Es gibt aber von dieser Zeit auch Erfreuliches zu berichten:

  • Bau einer neuen Reichsbrücke über die Donau in Wien,
  • Bau eines Hochwasserschutzes in Wien (Überschwemmungsgebiet),
  • Bei der Großglockner-Hochalpenstraße,
  • Bau einer zweiten Hochquellen-Wasserleitung für Wien,
  • Bau eines sehr modernen Fußballstadions in Wien,
  • Bau der Wiener Höhenstraße auf den Kahlenberg in Wien.

Auch im Sport wurden beachtliche Leistungen erbracht:
So gewann die österreichische Fußball-Nationalmannschaft, auch „Wunderteam“ genannt, innerhalb von 2 Jahren hintereinander 15 internationale Länderspiele und der FC „Rapid“ wurde im Jahre 1930 sogar Sieger im Mitropacup. Außerdem gab es bei den Olympischen Spielen zwischen 1924 und 1936 insgesamt 83 Medaillen, davon 14 in Gold (Florettfechten, Gewichtheben, Kanu und Eiskunstlauf) und dazu kamen noch 17 Weltmeister (Eiskunstlauf, Eisschnelllauf und Skispringen).
Nicht zu vergessen ist die Wissenschaft mit folgenden Nobelpreisträgern:

  • Fritz Pregl (1923) – Chemie
  • Richard Zsigmondi (1925) – Chemie
  • Julius Wagner-Jauregg (1927) – Medizin
  • Karl Landsteiner (1930) – Medizin
  • Erwin Schrödinger (1933) – Physik
  • Otto Loewi (1936) – Medizin
  • Viktor, Franz Heß (1936) – Physik
  • Richard, Johann Kuhn (1938) – Chemie

Während dieser Zeit gab es aber von deutscher Seite schon Bestrebungen, Österreich mit dem Deutschen Reich zu vereinigen. In Österreich wehrte man sich zwar dagegen und hoffte, von anderen Staaten unterstützt zu werden, doch es half niemand. Am 13. März 1938 wurde unser Land ohne sinnlosen Widerstand von deutschen Truppen besetzt und der deutsche, aber österreichstämmige Diktator Adolf Hitler verkündete vom Wiener Heldenplatz aus die „Heimkehr Österreichs ins Deutsche Reich“. Österreich hieß nun Ostmark und wurde ein Bestandteil der deutschen Diktatur. Alle österreichischen Politiker, die sich gegen die Besetzung ausgesprochen hatten, wurden verhaftet und in deutsche Konzentrationslager gebracht. Die Menschen in unserem Land bekamen wieder Arbeit, verdienten recht gut und waren im Allgemeinen zufrieden. Sie kannten jedoch nicht die Verhältnisse in den Konzentrationslagern und wussten auch nicht, dass Deutschland einen Krieg vorbereitet, denn nach außen hin schien alles sehr friedlich. Auch die Kinder waren gut versorgt. Sie konnten nun auch Dinge tun, die früher schon aus finanziellen Gründen unmöglich waren.

Am 1.9.1939 war es dann so weit. Deutsche Truppen überfielen Polen. Die Vorkriegszeit war damit zu Ende und der grässliche 2. Weltkrieg nahm seinen Lauf.

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