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Unser erstes Auto - Zeitzeugenbericht von Kurt Motlik

Bild von Kurt MotlikUnser erstes Auto

Es war Ende Oktober 1955. Der letzte Besatzungssoldat hatte unser Land bereits verlassen. Österreich war frei und wieder eine Demokratie – nach 20 langen Jahren.

Was hieß eigentlich „frei“ nach mehr als zwei Jahrzehnten? So richtig wusste niemand, was man mit dieser Freiheit anfangen sollte. Man musste erst einmal gründlich darüber nachdenken. Dabei kam man drauf, dass es eigentlich verschiedene Freiheiten gibt, wie zum Beispiel die Meinungs- und Redefreiheit, die Pressefreiheit, aber auch die Freiheit, nach vielen, langen Jahren in Österreich wieder überall hinfahren zu können, ohne an den Grenzen der Besatzungszonen schikaniert zu werden. Und diese Freitheit wurde auch gleich voll in Anspruch genommen.

Die Mobilität beschränkte sich vorerst nur auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln, von Fahrrädern und vereinzelt auch auf Motorrädern und PKWs, die fast ausschließlich aus der Vorkriegszeit stammten. Diese Fahrzeuge waren lange Zeit irgendwo versteckt, um nicht von der Deutschen Wehrmacht beschlagnahmt oder später von Besatzungssoldaten entwendet zu werden. Doch bald setzte auch in Österreich eine ungeahnte Motorisierungswelle ein. Das Angebot von Motorfahrzeugen wurde immer größer und vielfältiger. Es reichte vom Fahrrad mit Hilfsmotor, über Kabinenroller, Motorräder bis zu PKWs aller Größen und Typen. Zum geringen Teil wurden diese Fahrzeuge schon in Österreich produziert. Aber auch eine Fülle von Gebrauchtfahrzeugen wurde angeboten, die man zumindest in einen ansehnlichen Zustand versetzt hatte.

Meine Gattin und ich wünschten uns schon lange, ebenfalls ein Kraftfahrzeug zu besitzen. Jedesmal, wenn wir mit der Straßenbahn zu oder von unserer Arbeitsstätte fuhren, kamen wir an einer Tankstelle vorbei, die einige gebrauchte PKWs zum Kauf anbot. Einer dieser PKWs stach uns ins Auge, aber wir konnten beim Vorbeifahren nur die vordere Hälfte und die Windschutzscheibe sehen, auf welcher der Kaufpreis von S 5.000,- groß angeschrieben stand. Es handelte sich um einen Opel-Olympia, Baujahr 1938, grün lackiert und machte von außen einen recht ordentlichen Eindruck. Nach genauerer Betrachtung gefiel uns der Wagen sehr gut, doch der Preis hinderte uns immer wieder daran, ihn auch zu erwerben. Man muss nämlich wissen, dass damals der Betrag von S 5.000,- dem dreifachen Monatsbezug eines Bahnbeamten in mittlerer Position entsprach. Außerdem besaß ich noch keinen Führerschein, sodass auch diese Kosten in Rechnung zu stellen waren. Die zu erwartenden, laufenden Ausgaben waren ebenfalls ein wesentlicher Faktor unserer Überlegungen.

Da ich außer meiner beruflichen Tätigkeit auch einem bescheidenen Nebenjob nachging und meine Gattin ebenfalls erwerbstätig war, entschlossen wir uns, diesen PKW doch zu kaufen. Wir unternahmen eine Probefahrt, die mangels eines eigenen Führerscheins der Händler mit uns durchführte, wobei alles in Ordnung schien. Wir mussten dies damals auch schriftlich bestätigen, da es erst ab dem Jahre 1967 eine behördliche Begutachtung nach §57 a, Abs. 4, gab. Diese Bestätigung beschränkte sich auf die Feststellung, diesen PKW „im betriebsfähigen Zustand“ übernommen zu haben. Uns war aber klar, damit ein gewisses Risiko einzugehen, aber die Praxis war damals eben so.

Die Ernüchterung kam spätestens zu jenem Zeitpunkt, als ich den Führerschein bereits besaß und den Wagen eigenhändig zu einem bekannten Automechaniker brachte, um dort das Auto genau überprüfen zu lassen. Schon am Weg dorthin, es war meine erste Ausfahrt, kam mir das Gruseln. Abgesehen davon, dass das Gaspedal ständig hängen blieb, war auch die Wirkung der Fußbremse mehr als bescheiden. Vom Schwergang der Lenkung gar nicht zu sprechen. Zum Glück gab es zu dieser Zeit noch keinen so dichten Verkehr, wie jetzt im Jahre 2006. Vorerst ging es beim Mechaniker darum, alle Mängel beheben zu lassen, welche die Verkehrssicherheit direkt gefährden würden. Dazu gehörte u.a. ein undichter Bremszylinder, ein undichter Kühler, die mangelhafte Handbremse, sowie das nur sehr schwer drehbare Lenkrad. Da für diese Wagentype keine Ersatzteile zu beschaffen waren, konnten diese Mängel nur in mühevoller Bastelarbeit einigermaßen befriedigend behoben werden. Ebenso waren kosmetische Korrekturen angebracht wie zum Beispiel das Reparieren der Innenbespannung oder das Beseitigen unansehnlicher Roststellen u.v.m.

Die erste größere Ausfahrt mit meiner Gattin führte uns auf den Kahlenberg. Bei der Bergfahrt ging alles noch relativ gut. Bei der Talfahrt gab es allerdings ein großes Problem. Man konnte mit dem Motor nämlich nicht bremsen, weil die Gänge des Getriebes immer heraussprangen. Zum Glück saß meine Gattin neben mir, die den Ganghebel in der erforderlichen Stellung festhielt. Ein weiteres Problem war die Fahrtrichtungsanzeige. Damals gab es noch keine Blinker, sondern Winker. Dies waren kurze, beleuchtete Schwenkarme, die beidseitig in den Türsäulen versenkt angebracht waren. Bei Bedarf konnte der Lenker mittels eines elektrischen Schalters wahlweise den linken oder rechten Winker ausfahren. Beim Ausschalten sollte der jeweilige Winker durch sein Eigengewicht wieder in seine Ruhelage zurückfallen. Bei meinem Wagen war das meistens nicht der Fall, weil durch einen Schwergang einer der beiden Winker oft stecken blieb. Dadurch kam es vor, dass beide Winker gleichzeitig in Funktion waren, was fallweise ein Hupkonzert zur Folge hatte. Einmal hielt mich sogar die Polizei an und fragte mich, „ob ich fliegen wolle“, weil wieder einmal beide Winker eine beabsichtigte Fahrrichtungsänderung anzeigten.

Der Fahrkomfort beschränkte sich also darauf, sich mehr schlecht als recht fortbewegen zu können, was selbst im Winter dieses „Vergnügen“ in Frage stellte. Es gab zum Beispiel noch kein Mehrbereichs-Motoröl, sondern ausschließlich Sommer- und Winteröl, eine nur sehr mangelhaft wirkende Frontscheibenheizung, keine Winterreifen sondern nur Schneeketten, keine Heckscheibenheizung und auch keine Heckscheibenwischer. Frontscheibenwischer gab es zwar, sie waren aber so klein, dass durch das Wischsegment die Straße nur im beschränkten Ausmaß überblickt werden konnte. Selbst in der schöneren Jahreszeit war das „Fahrvergnügen“ eher bescheiden. Abgesehen davon, dass der Kühler noch immer Wasser verlor und daher zum Nachfüllen größere Mengen davon in Kanistern mitgeführt werden mussten, hatte unser Wagen nur einen kleinen, von innen zugänglichen Kofferraum, da das Reserverad außen am Heckblech befestigt war. Er befand sich hinter den Lehnen der Rücksitze und war daher nur schwer zugänglich. Alle anderen Einrichtungen, die heute zur Standard-Ausstattung gehören, waren damals nur ein Traum. Dazu zählten zum Beispiel das Synchrongetriebe (man musste beim Schalten Zwischengas geben), eine Servolenkung, ein ABS, eine Klimaanlage, eine Heckscheibenheizung und die Heckscheibenwischer, eine Zentralverriegelung, elektrische Fensterheber, Rückfahrscheinwerfer, eine Lichthupe, eine Warnlichtanlage, ein Autoradio u.v.m.

Nach gut einem Jahr mussten wir feststellen, dass trotz des hohen, finanziellen Aufwandes unser Wagen ein „Wrack“ geblieben war und wir um das gleiche Geld bereits einen neuen Kleinwagen bekommen hätten. Zum Glück fand mein Mechaniker einen Käufer für unseren optisch gar nicht so schlecht aussehenden Wagen. Nach dem Erhalt des für den geleisteten Aufwand sehr geringen Kaufpreises und einer schriftlichen Bestätigung, das Fahrzeug „im betriebsfähigen Zustand“ übernommen zu haben, war für mich das Kapitel „Unser erstes Auto“ abgeschlossen.

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