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Im Wirtshaus - Zeitzeugenbericht von Kurt Motlik

Bild von Kurt MotlikIm Wirtshaus

Die folgenden Darstellungen stammen aus meiner Erinnerung als Kind, beschreiben die Zwischenkriegszeit und reichen bis in die Anfänge des 2. Weltkriegs.

Das Wirtshaus, auch als Gasthaus oder Gaststätte bezeichnet, bestand in der Regel aus einem Schankraum mit ungedeckten Tischen und einem „Extrazimmer“ mit gedeckten Tischen zur Einnahme von Speisen aus einem eher bescheidenen Angebot. Wirtshäuser wurden vielfach als Familienbetrieb geführt. Der Wirt kümmerte sich um die Getränke, die Wirtin um den Küchenbetrieb. Einen Kellner stellte man meistens nur zu Stoßzeiten ein.

Die Einrichtungen der Wirtshäuser waren in der Regel sehr bescheiden und hauptsächlich auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet. Die Kühlung von Lebensmitteln und Getränken erfolgte auf sehr primitive Weise in einem großen Eiskasten. Dieser wurde mehrmals wöchentlich mit zerkleinerten Eisblöcken beschickt, die von einem mit Pferden bespannten Eiswagen angeliefert wurden. In diesem Eiskasten befand sich auch ein Bierfaß aus Holz, welches von Hand aus mit einem Drehhahn, auch Piepe genannte, „angezapft“ wurde und an einer Druckluftflasche angeschlossen war. Flaschenbier gab es auch, doch es war wesentlich teurer als das Fassbier. Deshalb war es üblich, für den häuslichen Gebrauch mit besonderen Krügen offenes Bier „über die Gasse“ zu holen. Wein wurde ebenfalls in Holzfässern geliefert und im Wirtskeller abgestellt. Dort wurde er in Zwei-Liter–Flaschen abgefüllt, in den Schankraum gebracht und in einem temperierten Wasserbehälter gestellt. Auch Wein wurde „über die Gasse“ geholt und oft in gereinigten Bierflaschen transportiert.

Eine Eigenheit dieser Zeit war auch die Verwendung von „Stammgläsern“ für sogenannte Stammgäste. Diese Gläser waren mit verschiedenen Motiven oder Sprüchen versehen und der Wirt wusste genau, welches Glas zu welchem Gast gehörte.

In der Zwischenkriegszeit war das Wirtshaus die klassische Begegnungsstätte für den „kleinen Mann“ im wahrsten Sinne des Wortes, weil man Frauen kaum als Gäste sah. Nur selten, meistens an Sonn- und Feiertagen, nahm der Mann am Abend seine Gattin und eventuell auch die Kinder zu einem Wirtshausbesuch mit. Er selbst ging öfter ins Wirtshaus, um dort mit Freunden und Bekannten Gedanken auszutauschen oder Karten zu spielen. Es war damals eines der wenigen Vergnügen, die man sich leisten konnte.

Da es zu dieser Zeit noch kein Fernsehen und kaum Rundfunkgeräte gab, war das Wirtshaus ein wichtiger Kommunikationsort. Es gab auch viele davon. In fast jedem Häuserblock einer Stadt fand man zumindest ein Wirtshaus, das ganztägig geöffnet hatte, denn Mittagssperre und Ruhetage gab es damals noch nicht.

Wie schon eingangs erwähnt, verfügten die Wirtshäuser der damaligen Zeit über ein sehr bescheidenes Angebot an Speisen, welches der Wirt persönlich anbot, denn eine eigene Speisekarte lohnte sich nicht. Bestenfalls stand vor dem Lokal eine schwarze Holztafel, auf der mit weißer Kreide die aktuellen Speisen angepriesen wurden. Bedingt durch die sehr schlechten, wirtschaftlichen Verhältnisse war der Begriff „Essen gehen“ ein Fremdwort. Allerdings gab es ein Mal im Jahr eine Ausnahme. Der Wirt veranstaltete für seine Gäste in der Vorweihnachtswoche ein „Großes Ganslessen“ und das kam so:

In fast jedem Wirtshaus gab es einen Sparverein, der von verlässlichen Stammgästen geführt wurde. An einem bestimmten Tag jeder Woche konnte man dort bis zum Dezember des laufenden Jahres kleinere Geldbeträge einlegen, um sie knapp vor Weihnachten mit Zinsen wieder in Empfang zu nehmen. Gleichzeitig konnte man 10 Groschen dazuzahlen, um am Auszahlungstag mit der ganzen Familie an einem „Großen Ganslessen“ teilzunehmen. Dieses Festmahl bestand in der Regel aus einer Ganslsuppe, Gänsebraten mit Rotkraut und Kartoffelknödel, sowie einer Nachspeise. Es war für die meisten Menschen dieser Zeit ein gesellschaftliches Großereignis, auf das man sich das ganze Jahr freute. Manche Gastwirte veranstalteten in der Faschingszeit einen „Hausball“, der ebenfalls gerne angenommen wurde.

Das Kartenspielen gehörte damals zu den häufigsten Formen der gesellschaftlichen Kontakte. Es gab regelrechte Kartenpartien, die sich an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten trafen und ihre Runden absolvierten. Am populärsten war das „Schnapsen“ in verschiedenen Varianten. Als Krönung wurde alljährlich ein „Preisschnapsen“ veranstaltet, für welches ein Nenngeld zu entrichten war und bei dem man auch wertvollere Preise gewinnen konnte.

Nicht vergessen sollte man eine Menschentype, die man zu dieser Zeit ebenfalls antreffen konnte. Es war der „Fassltipler“. Dies waren in der Regel unterstandslose Männer, die von Wirtshaus zu Wirtshaus zogen, um die verbliebene Flüssigkeit aus den bereits geleerten Bierfäsern zu sich zu nehmen. Für so manchen dieser Menschen war es die einzige Nahrung für den ganzen Tag.

Allerdings hatte „das Wirtshaus“ auch seine Schattenseiten. Es kam nicht selten vor, dass Männer, die mit der damaligen, permanenten Notlage nicht fertig wurden, an einem Tag ihren gesamten Wochenlohn oder die Arbeitslosenunterstützung vertranken, wodurch aber die Not in der Familie nicht geringer wurde.

Durch den Ausbruch des 2. Weltkriegs wurde der Wirtshausbetrieb stark eingeschränkt. Ein Teil der Wirtshäuser wurde geschlossen, weil der Wirt einrücken musste und die übrigen vegetierten dahin, weil ihnen durch den Krieg ein Großteil der Gäste abhanden gekommen war. Im Verlauf des Krieges wurde durch die allgemeine Rationierungen das Angebot immer geringer und außerdem musste man für die wenigen noch angebotenen Speisen den Gegenwert von Lebensmittelmarken für Fleisch, Fett und Mehlprodukte abgeben. Mit zunehmender Verschlechterung der Ernährungslage konnten sich die Menschen auch diesen „Luxus“ nicht mehr leisten. Damit hatte das klassische Wirtshaus seine Existenzberechtigung verloren.

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