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Die Falle - Zeitzeugenbericht von Kurt Motlik
Die Falle
Der deutsche Reichsarbeitsdienst (RAD) war immer schon eine Vorfeldorganisation der Deutschen Wehrmacht, zu welcher man gleich anschließend einrücken musste. In Friedenszeiten beschränkte sich die Ausbildung beim RAD auf körperliche Ertüchtigung, Einsätze beim Straßenbau oder in der Landwirtschaft waren ebenfalls möglich. Der RAD wurde im Jahre 1935 in Deutschland eingeführt und dauerte 1 Jahr, dem Einberufungszyklus der Deutschen Wehrmacht folgend. Durch die schweren Verluste der Deutschen Wehrmacht im 2. Weltkrieg wurden die Zyklen immer kürzer, um möglichst rasch die Lücken der kämpfenden Truppe schließen zu können.
Im Januar 1944, als ich kaum 17 Jahre alt die Einberufung zum RAD erhielt, betrug die Ausbildungszeit nur noch 3 Monate mit den Schwerpunkten Wehrertüchtigung (Umgang mit Handfeuerwaffen), Bau von Panzersperren u.ä. Also eine indirekte Vorbereitung auf den bald folgenden Fronteinsatz. Unser RAD-Lager befand sich in Namslau bei Breslau, bestand hauptsächlich aus miesen Holzbaracken und lag außerhalb jeder Zivilisation. Die „Arbeitsmänner“, wie man diese Art von Rekruten nannte, bestanden nur aus „Ostmärkern“ (früher Österreicher), der Führungskader hingegen ausschließlich aus Norddeutschen, woraus man schließen kann, dass die Menschlichkeit der RAD-Führer der Mannschaft gegenüber keinen besonders hohen Stellenwert besaß.
Während unserer Ausbildungszeit kam ein Einsatzbefehl nach Oels in Polen, wo ein Feldflughafen der Deutschen Luftwaffe zu planieren war. Feldflughäfen bestanden aus provisorischen Start- und Landebahnen nahe der Front auf unbefestigtem Untergrund, die nur bei harten Böden problemlos benützt werden konnten. Da zu dieser Zeit gerade Tauwetter eingesetzt hatte, war dieser Flughafen durch sehr tiefe Spurrillen praktisch unbenützbar geworden. Unsere Aufgabe bestand nun darin, diese Unebenheiten mit Krampen und Schaufel, also händisch, zu beseitigen. Dieser Flughafen in Oels dürfte besonders kriegswichtig gewesen sein, da er hauptsächlich von „Giganten“ benützt wurde. Dies waren viermotorige Frachtflugzeuge, mit welchen schwere Kriegsgeräte (Panzer, LKW, Kanonen, u.ä.) rasch nahe an die Front befördert werden konnten. Sie besaßen zwei riesige Bugtüren, durch welche auch schwere Kampfpanzer das Flugzeug befahren konnten.
Wir Arbeitsmänner waren in stark verschmutzten Baracken untergebracht und mussten am Fußboden auf unbezogenen Strohsäcken schlafen. Abgesehen davon, dass hin und wieder ein sowjetisches Aufklärungsflugzeug auftauchte, gab es keine Feindeinwirkung. Dafür sorgten die total verlausten Schlafstellen für große Unruhe.
Nach etwa einer Woche war unser Einsatz zu Ende und wir kehrten wieder nach Namslau in unsere Quartiere zurück. Schon bei der Rückfahrt verspürte ich starke Schmerzen an beiden Handflächen. Durch die schweren und ungewohnten Erdarbeiten hatte sich bei mir eine Phlegmone entwickelt, die eine rasche ärztliche Versorgung erforderlich machte, da sonst eine Blutvergiftung zu befürchten war. Bei einer Phlegmone bilden sich unter der sehr hart gewordenen Haut Blutergüsse, die nur operativ behandelt werden können. Unmittelbar nach der Rückkehr wurde ich mit großen Schmerzen in ein Namslauer Zivilkrankenhaus gebracht, wo beide Handflächen geöffnet werden mussten, um das bereits gestockte Blut entfernen zu können. Unmittelbar danach wurde ich mit bandagierten Händen dienstunfähig wieder zur Truppe entlassen. Im Krankenrevier des RAD-Lagers, in dem ich allein untergebracht war, musste ich rund um die Uhr von einem Sanitäter betreut werden, da ich mehrere Tage meine beiden Hände nicht benützen konnte. Er musste mich füttern und ebenso auch am WC komplett betreuen. Noch tragischer war aber die Tatsache, dass ich mich auch nicht kratzen konnte, da sich unterdessen die Brut der Filzläuse von Oels am ganzen Körper voll entwickelt hatte. Es war die Hölle auf Erden. Schon fast dem Wahnsinn nahe, hüllte man mich in Leintücher, die vorher mit einer nach Benzin riechenden Flüssigkeit getränkt worden waren. Zum Glück waren die meisten Filzläuse früher vernichtet, als ich. Nur die meisten, aber nicht alle.
Als ich noch im Krankenrevier liegend erfuhr, in welche Falle viele meiner Kameraden geraten waren, konnte ich mein Schicksal viel leichter ertragen. Zu dieser Zeit kam nämlich eine Kommission der Waffen-SS in unser Lager, um für diese politische Kampftruppe „Freiwillige“ zu werben. Es war aber keine Werbung im üblichen Sinn, sondern jeder Arbeitsmann wurde einzeln vorgeführt und psychologisch so unter Druck gesetzt, dass viele von ihnen die praktisch erzwungene „freiwillige“ Meldung zur Waffen-SS unterschrieben hatten. Mich hatte man offensichtlich vergessen. Jedenfalls blieb ich vorerst verschont, einer Eliteeinheit anzugehören. Doch im Jänner 1945 wurde ich mit 20 anderen Kameraden zu einer dieser Eliteeinheiten an die Ostfront abkommandiert. Aber nicht als „Freiwilliger“.
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