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Der verpfuschte Putsch - Zeitzeugenbericht von Kurt Motlik

Bild von Kurt MotlikDer verpfuschte Putsch

Unmittelbar nach Kriegsende stand die Wiener Bevölkerung vor dem blanken Nichts. Es gab kaum Nahrungsmittel, kein Material zur Behebung der Kriegsschäden und sehr wenig Arbeitskräfte. Viele arbeitsfähige Männer waren gefallen oder kehrten verstümmelt aus dem Krieg zurück und hunderttausende ehemalige Soldaten befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft.

Im August 1945 vereinbarten die Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion nach dem Muster Deutschlands auch Österreich in vier Besatzungszonen aufzuteilen. Die Sowjetzone, auch Ostzone genannt, bestand aus Niederösterreich, dem Burgenland und der südlichen Hälfte Oberösterreichs. Sie war von den Westzonen durch einen „Eisernen Vorhang“, der den Namen Demarkationslinie trug, praktisch isoliert, obwohl Österreich ein politisches Staatsgebilde blieb. Auch Wien war in vier Besatzungszonen unterteilt, wobei der 2., 4., 10., 20., 21., sowie der 22. Bezirk der Sowjetunion zugeordnet wurden. Der 1. Bezirk wurde international verwaltet.

Im Laufe der Zeit verbesserte sich zwar die allgemeine Lage, die Preise liefen den Löhnen jedoch immer mehr davon, obwohl im Dezember 1945 geringe Beträge fast wertloser deutscher Reichsmark in wertbeständigere österreichische Schilling umgetauscht werden konnten. Die dadurch entstandene Unzufiedenheit in der Bevölkerung wollten die Kommunisten nützen, um propagandistisch im ganzen Land Unruhe zu stiften. Denn sie konnten nämlich nicht verwinden, bei den ersten demokratischen Wahlen im November 1945 nur 5,4% der Stimmen erhalten zu haben und trotz großzügiger Unterstützung durch die Sowjetunion politisch bedeutungslos bleiben zu müssen. Auch eine von den Sowjets errichtete Kaufhauskette, die sogenannten USIA-Geschäfte, in welcher jeder in der Sowjetzone Waren minderer Qualität zu niedrigeren Preisen erwerben konnte, brachte den Kommunisten keine Verbesserung ihrer Lage. Bei den Wahlen im Jahre 1949 blieb die KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs), wie bereits 1945, ebenfalls weit hinter ihren Erwartungen zurück, obwohl die Unzufriedenheit in der Bevölkerung immer größer wurde, da sich die Lohn-Preis-Schere immer weiter öffnete. Wieder versuchte die KPÖ auf die österreichische Politik mehr Einfluss zu gewinnen und rief für den 10.05.1949 zu einer Massendemonstration gegen die Bundesregierung auf, wobei es zu provozierten, gewalttätigen Ausschreitungen und Streikbewegungen kam. Unter großem persönlichen Einsatz behielt unsere Polizei die Oberhand und verhinderte wahrscheinlich einen Putsch. Vielleicht hofften die Kommunisten mit dem Eingreifen der sowjetischen Besatzungsmacht und somit auf eine Entwicklung wie in Deutschland: Die Ostzone Österreichs wird eine kommunistisch diktierte „Volksdemokratie“. Im Juni 1950 überfiel das kommunistische Nordkorea das westlich orientierte Südkorea – eine direkte Konfrontation des Ostens gegen den Westen. Der 3. Weltkrieg drohte. Dadurch stiegen die Weltmarktpreise und damit die Unzufriedenheit der Bevölkerung auf ein kaum erträgliches Maß. Abermals sahen die Kommunisten ihre Zeit kommen und schürten diesen Zustand bis zum Exzess. Sie organisierten für den 26.09.1950 erneut Massendemonstrationen, Blockaden öffentlicher Einrichtungen und Streiks. Außerdem sollten hunderte Demonstranten das Bundeskanzleramt stürmen, um die Regierung zum Rücktritt zu zwingen. Doch durch den abermaligen, selbstlosen Einsatz unserer Polizei konnte auch dies verhindert werden. Es gab aber zahlreiche, zum Teil schwer verletzte Polizisten.

Die Kommunisten gaben sich aber nicht geschlagen und beriefen für den 30.09.1950 eine „Gesamtösterreichische Betriebsrätekonferenz“ ein. Als Tagungsort wurde die „Wiener Lokomotivfabrik“ im 21. Wiener Gemeindebezirk bestimmt. Abgesehen davon, dass sich diese Fabrik in der Sowjetzone befand, bestand ihre Belegschaft überwiegend aus Mitgliedern der KPÖ. Dort wurde beschlossen, am 04.10.1950 für ganz Österreich einen unbefristeten Generalstreik auszurufen. Der Österreichische Gewerkschaftsbund empfahl aber seinen Betriebsräten, diesem Streikaufruf nicht zu folgen. Unterdessen wurden in den von den Sowjets verwalteten Betrieben alle Mitarbeiter von den Kommunisten gezwungen, beim Generalstreik mitzumachen. Gleichzeitig wurden sie aufgefordert, durch persönlichen Einsatz in Wien das gesamte Geschehen lahm zu legen. Es wurden brutal agierende Rollkommandos gebildet, die Barrikaden errichteten, arbeitende Betriebe besetzten und Straßenkämpfe provozieren sollten. Auch öffentliche Gebäude, wie Bahnhöfe und Postämter sollten nicht verschont bleiben. Von den Sowjets wusste man, dass die österreichische Polizei den Befehl bekommen hatte, diese Demonstrationen nicht zu behindern.

In mitten der Sowjetzone im 21. Bezirk, umgeben von lauter kommunistisch geführten Sowjetbetrieben, befand sich ein großes Ausbesserungswerk für Dampflokomotiven der Österreichischen Bundesbahnen mit etwa 1.500 Bediensteten. Ich war dort als Techniker tätig. Obwohl wir öffentlich Bedienstete infolge unserer sehr geringen Bezüge besonders unter den Teuerungen zu leiden hatten, dachte keiner von uns daran, so wie die meisten Österreicher auch, dem Aufruf zum Generalstreik zu folgen. Wir erkannten aber, dass die beabsichtigte Streikbewegung für unser Werk und deren Belegschaft gefährlich werden sollte. Hierbei wurden auch Überlegungen angestellt, wie man das Werksgelände vor äußeren Zugriffen schützen könne. Vorerst wurden alle Schwachstellen der Umzäunung gefestigt und freiwillige Bedienstete rekrutiert, die sich zur Teilnahme an einem Streifendienst im Werk bereit erklärt hatten. Sie wurden mit Gummischläuchen bewaffnet und sollten das Eindringen betriebsfremder Menschen verhindern.

04.10.1950, 7.00 Uhr früh. Die Belegschaft des Werkes beginnt pünktlich mit ihrer Arbeit, doch eine gewisse Unruhe macht sich bemerkbar. Diese war auch begründet, denn um etwa 9.00 Uhr versammelten sich vor unserem verschlossenen Werkstor hunderte, zum Teil mit Holzlatten bewaffnete Demonstranten benachbarter Betriebe und forderten johlend einen ungehinderten Zugang. Da ihnen dieser jedoch verweigert wurde, brachen sie mit Gewalt das Gittertor auf und besetzten das gesamte Werksgelände. Das hordemäßige agierende Verhalten der Besetzer ließ uns erkennen, dass jeder Widerstand sinnlos und sehr gefährlich gewesen wäre. Um Blutvergießen zu vermeiden, zogen wir uns zurück. Außer heftigen, verbalen Auseinandersetzungen gab es auch vereinzelt Handgreiflichkeiten. Aber durch das besonnene Verhalten unserer Belegschaft waren keine direkten Opfer zu beklagen. Nach einigen Stunden und der Erfüllung ihres Streikauftrages verließen die Demonstranten unser Werk wieder.

In anderen Teilen Wiens ging es härter zu. Wie schon erwähnt, hatten kommunistische Rollkommandos den Auftrag, mit allen Mitteln und unter dem Schutz der sowjetischen Besatzungsmacht den Generalstreik durchzusetzen. Die österreichische Polizei musste tatenlos zusehen. Unterdessen mobilisierte die Bauarbeitergewerkschaft unter der Führung ihres Vorsitzenden Franz Olah in Wien tausende Bauarbeiter, bewaffnete sie mit Holzprügel und startete eine Gegenoffensive. Erst jetzt wagte die österreichische Polizei sich dem bereits in schwere Tätlichkeiten ausgearteten Kampf zum Erhalt der Demokratie anzuschließen. Am 06.10.1950 war dann der Spuk zu Ende und ein kommunistischer Putsch neuerlich gescheitert. Die Demokratie hatte wieder einmal gesiegt und mit ihr die Menschen in Österreich. Während dieser Tage war ich gezwungen, den Weg zur und von der Arbeitsstätte zu Fuß zurückzulegen. Unter normalen Voraussetzungen schaffte man die rund 15 km in 3 Stunden. Doch zu dieser Zeit dauerte es erheblich länger. Man musste Straßensperren umgehen und Straßenkämpfen ausweichen.

Es tat uns allen gut, dass die überwiegende Mehrheit der Österreicher für die Demokratie eingetreten war. Vielleicht hatten sich viele Menschen an die Worte unseres Bundeskanzlers Leopold Figl in seiner Rede zu Weihnachten 1945 erinnert, in welcher er u.a. sagte: „Ich bitte Euch, glaubt an dieses Österreich!“. Wie hatten diese Bitte ernst genommen und unsere Heimat zu einem Land gemacht, in dem es sich lohnt, in Frieden und Freiheit zu leben.

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