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Harninkontinenz

Eine Harninkontinenz (lat.: Incontinentia urinae) bezeichnet den Verlust oder das Nichterlernen der Fähigkeit, Urin sicher in der Harnblase zu speichern und selbst Ort und Zeitpunkt der Entleerung zu bestimmen.

Formen der Harninkontinenz

Laut Definition der Fachgesellschaften liegt eine Inkontinenz offiziell bereits ab einem Tropfen Urinverlust vor.

Syndrom der überaktiven Blase (engl. overactive bladder, OAB)

Das Syndrom der überaktiven Blase ist nach der Nomenklatur der ICS (International Continence Society) definiert durch einen schlagartigen, ununterdrückbaren Harndrang, der die betroffene Person zwingt, unmittelbar eine Toilette aufzusuchen. Die Miktionsfrequenz muss für die OAB bei mindestens 8 x pro 24 Stunden liegen. Es wird unterschieden zwischen der OAB mit Inkontinenz (OAB wet) und ohne Inkontinenz (OAB dry). Die alte Nomenklatur dazu ist:

  • Sensorische Dranginkontinenz: Hier ist die Wahrnehmung der Blasenfüllung im Sinne eines vorzeitigen Füllungsgefühls, etwa durch eine Entzündung, durch Blasensteine oder Obstruktion der ableitenden Harnwege, gestört.
  • Motorische Dranginkontinenz: Hier sind die efferenten Nervenimpulse zum Musculus detrusor (der für die Entleerung zuständigen Harnblasenmuskulatur) enthemmt, was zu einer vorzeitigen, manchmal krampfartigen Detrusor-Kontraktion führt.

Die OAB kann Folge von Entzündungen der unteren Harnwege (Harnblase, Harnröhre), von obstruktiven (einengenden) Veränderungen wie z. B. Harnröhrenstrikturen, gut- bzw. bösartigen Prostata-Vergrößerungen oder auch von neurologischen Störungen wie z. B. Demenzerkrankungen sein. Bei den meisten betroffenen Patienten wird keine Ursache gefunden.

Die Therapie ist teils kausal, also die Ursache beseitigend, teils aber auch nur symptomatisch, also lediglich die Beschwerden lindernd.

Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz)

Bei einer Belastungsinkontinenz löst der erhöhte Bauchinnendruck durch Belastung, Pressen aus den verschiedensten Gründen (Heben, Tragen, Treppensteigen, Lachen, Husten, Niesen, Pupsen) den mehr oder weniger ausgeprägten Harnverlust aus.

Es werden drei Schweregrade nach Stamey unterschieden:

  • 1. Grad: Inkontinenz beim Husten, Niesen
  • 2. Grad: Inkontinenz bei abrupten Körperbewegungen, beim Aufstehen, Hinsetzen
  • 3. Grad: Inkontinenz bei unangestrengten Bewegungen, im Liegen

Die Belastungsinkontinenz ist bei Frauen oft Folge mehrfacher Spontangeburten, die zu einer Überdehnung und Erschlaffung von Haltebändern und Beckenboden führen. Daraus resultiert eine Senkung (Descensus) der Organe des kleinen Beckens. So kann bei erhöhtem Bauchinnendruck dieser Druck nicht mehr als Verschlussdruck die Harnröhre erreichen, wohl aber noch in voller Stärke die Harnblase.

Beim Mann dagegen ist diese Form der Inkontinenz meist Folge einer traumatischen Schädigung des äußeren Blasenschließmuskels durch Operationen (z.B. radikale Prostatektomie) oder Unfälle.

Therapeutisch stehen bei der weiblichen Stressinkontinenz in leichten Fällen konservative, in schwereren Fällen eine Reihe von operativen Methoden zur Verfügung. Hier wird heute in erster Linie ein minimal-invasiver Eingriff, die TVT-Operation (Tension-free vaginal tape = spannungsfreies vaginales Band) durchgeführt. Dabei wurden in einer 6-Jahresverlaufsstudie Erfolgsraten von rund 74 Prozent beobachtet. Bei 1,6 % der Frauen musste das Band nach dem Eingriff aufgrund von Komplikationen wieder entfernt werden. Bei rund 5 % der Frauen verblieb trotz der Operation eine Miktionsstörung.

Beim Mann kann der Versuch minimal-invasiver Eingriffe am Schließmuskel gemacht werden. In therapieresistenten Fällen kann ein künstlicher Schließmuskel implantiert werden, bei dem mittels Pumpensystem eine um die Harnröhre gelegte aufblasbare Manschette gefüllt bzw. geleert wird.

Das Umspritzen der Harnröhre mit Hyaluronsäure führt innerhalb des ersten Jahres bei etwa der Hälfte der Patienten zu einer Verbesserung, der Langzeiterfolg dieser Behandlung ist allerdings gering und die Komplikationsrate hoch.

Mischinkontinenz

Hier sind Drang- und Belastungsinkontinenz kombiniert.

Überlaufinkontinenz

Die Überlaufinkontinenz (auch: Inkontinenz bei chronischer Retention, Ischuria paradoxa oder Incontinentia paradoxa) entsteht durch eine ständig übervolle Harnblase infolge von Abflussstörungen. Da der Binnendruck schließlich den obstruktiven Verschlussdruck übertrifft, kommt es zum ständigen Harnträufeln.

Ursache der Überlaufinkontinenz ist meist die gutartige Prostatavergrößerung, seltener hochgradige Verengungen (Strikturen) der Harnröhre. Ebenfalls können neurologische Erkrankungen mit einer Erschlaffung des Musculus detrusor, wie sie im Rahmen einer Polyneuropathie bei chronisch schlecht eingestelltem Diabetes mellitus oder als Folge einer lower motor neuron - Läsion (LMNL, siehe bei Reflex-Inkontinenz) auftreten kann, zur „Überlaufblase“ führen.

Sehr häufig kommt es in Folge einer Überlaufblase zu einem Rückstau des Urins in die Harnleiter und die Nieren mit der Gefahr einer zunehmenden Niereninsuffizienz (Funktionsverlust der Nieren) bis hin zur Urämie (Harnvergiftung).

Die Therapie besteht wenn möglich in einer Ursachenbeseitigung (Prostata, Harnröhre), bei irreversiblen Veränderungen im Einsatz von Dauerkathetern oder dem intermittierenden Selbstkatheterismus.

Reflexinkontinenz

Die Reflexinkontinenz entsteht durch eine Störung oder Zerstörung der vom Gehirn ausgehenden Hemmungsbahnen und damit zu einem Überwiegen der Aktivitätsimpulse des Reflexbogens zwischen Harnblase und Blasenzentrum im Kreuzteil des Rückenmarks (S2 - 4). Diese führen zu reflexartigen Detrusor-Kontraktionen mit Harnabgang. Ein weiteres Problem besteht in der fehlenden Koordination der beteiligten Muskeln, so dass es häufig zur inkompletten Entleerung mit Restharn kommt (Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie).

Ein solcher Zustand tritt beispielsweise nach einer Querschnittlähmung oberhalb des Blasenzentrums auf (UMNL, upper motor neuron lesion). Degenerative zentralnervöse Veränderungen, etwa bei Multiple Sklerose Erkrankten können den gleichen Effekt zeigen. Bei der LMNL (lower motor neuron lesion) tritt dagegen eine schlaffe, völlig denervierte Blase mit Überlaufinkontinenz auf.

Die Therapie erfolgt vorzugsweise medikamentös. Der intermittierende Selbstkatheterismus ermöglicht eine restharnfreie Entleerung. Oberstes Ziel des Selbstkatheterismus ist neben der Harnentleerung vor allem der Schutz des oberen Harntraktes (Nieren).

Extraurethrale Inkontinenz

Bei der extraurethralen Inkontinenz liegt keine Insuffizienz des Verschlussapparates der Harnröhre (Urethra) vor. Der natürliche Harnausgang wird beispielsweise durch eine angeborene Fehlmündung eines Harnleiters hinter den Schließmuskel (z. B. Epispadie), eine Zystozele, Urethrozystozele oder eine verletzungsbedingte Fistel, wie etwa eine Blasen-Mastdarm- oder Blasen-Scheiden-Fistel als Operations- oder Bestrahlungsfolge „umgangen“. Die Therapie erfolgt durch eine operative Korrektur.

Psychologische Bedeutung der Inkontinenz

Da die Sauberkeitserziehung einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft hat, führt Inkontinenz häufig zur sozialen Isolation, zumal viele Inkontinenz-Kranke aus Scham sogar die Konsultation eines Arztes (Urologe, Gynäkologe) scheuen. Aus diesem Grund muss von einer hohen Dunkelziffer der Inkontinenz-Betroffenen ausgegangen werden.

Seit 2008 ist zu beobachten, dass mehrere Anbieter von Spezialprodukten ihre Marketing-Strategien umgestellt haben und auf eine Enttabuisierung des Themas hinarbeiten.

→ Seitentitel: Harninkontinenz
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Datum der letzten Bearbeitung: 1. Januar 2012, 20:57 UTC
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Datum des Abrufs: 21. Februar 2012, 16:14 UTC
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